Landrat a. D. Hermann Bröring – Moor im Emsland

Interview mit Hermann Bröring im Juni 2024 zum Thema Moor

„Lassen Sie uns ruhig mit dem Moor anfangen!“



Foto: Wilhelm Brinkmann, Lathen

Wenn man weiß, dass die Niederländer auf der Londoner Konferenz 1948 als Reparation für deutsche Besatzungsschäden deutsche Gebiete entlang der Grenze gefordert hatten, besaß dies daneben auch historische Hintergründe.

  • Die Niederländer hatten bereits im 19. Jahrhundert die Fähigkeit bewiesen, Moore zu erschließen und nutzbar für die Landwirtschaft zu machen, während auf deutscher Seite riesige Gebiete als „Ödland“ brach lagen und auf Siedler warteten. Die „Vernachlässigung“ der Kultivierung werteten die Niederländer als Desinteresse Deutschlands an dieser Region.
  • Und sie hatten dabei natürlich auch die neu entdeckten Erdöl- und Erdgasvorkommen in den Lagerstätten der Grafschaft und des linksemsischen Emslandes im Kopf.

Aber zurück zum Moor: Das Bourtanger Moor war für die Provinz Hannover lange Zeit eine natürliche Grenze – technisch schwierig und nur unter großen Kosten zu entwickeln. Da es gering bevölkert war und sich verkehrtechnisch in einer abgelegenen Grenzlage befand, die militärisch nicht gefährdet war, gab es kein großes Bedürfnis , die Region weiterzuentwickeln.

Foto: Wilhelm Brinkmann, Lathen


So sahen noch in der frühen Nachkriegszeit viele Verbindungsstraßen zwischen den Dörfern aus. 

Und das füge ich ganz bewusst hinzu: Konfessionen spielten damals eine große Rolle. Dort lebte eine weit überwiegend katholische Bevölkerung. Deshalb wurde die Region per se schon mit dem Nimbus rückständig versehen. Zudem war das Emsland seit der „Kulturkampfzeit“ eine Hochburg der oppositionellen Zentrumspartei. So war im Kaiserreich kein politisches Interesse der Regierung vorhanden, dort zu investieren.

Deshalb waren die Regionen Emsland/Grafschaft Bentheim auf sich selbst angewiesen. Sie lebten von diesem Moor, mit diesem Moor – zunächst in der Moorbrandkultur zum Anbau des Buchweizens. Zugleich nutzte die Bevölkerung das Moor in dieser waldarmen Gegend als überlebenswichtiger Brennstofflieferant. Gestochener und getrockneter Torf diente als Heizmaterial in der kalten Jahreszeit und ganzjährig als Brennstoff für den Herd. Wo günstige Transportmöglichkeiten bestanden, wurde auch Brenntorf verkauft und verschifft.

 Foto: Wilhelm Brinkmann, Lathen

Der Torfstich für die Versorgung mit Heiz- und Brennmaterial war für die Bevölkerung der Region Emsland/Grafschaft Bentheim bis weit in die Nachkriegszeit alltägliche Arbeit. Foto: Wilhelm Brinkmann, Lathen

Mitte des 19. Jahrhunderts kam eine erste zaghafte industrielle Nutzung hinzu. Der umtriebige Lingener Unternehmer Wilhelm Jüngst (1827-1892) pachtete große Moorländereien und ließ dort Torf stechen. Er errichtete rund 100 Verkokungsofen, um den dort produzierten Torfkoks der hannoverschen Westbahn als Brennstoff für die Lokomotiven anzubieten. Aber letztlich konnte der Torfkoks mit der Steinkohle nicht konkurrieren. Als schließlich Eisenbahnen die Region ansatzweise erschlossen, wurde immer mehr Brenntorf für den Verkauf produziert, später auch Streutorf für Pferdeställe usw. Dies brachte Arbeit und Geld in die Moordörfer – aber für eine Knochenarbeit, die den Körper schnell verschleißen ließ.

Auf der anderen Seite war das Moor eine Potenzialfläche, wenn man an die Entstehung der Fehnkolonien denkt, nämlich Landgewinnung zur Eigennutzung über den Abtransport des Torfs über die Kanäle. Es waren damit aber auch Spin-off-Effekte verbunden, nämlich, dass sich in Papenburg ab 1850 eine Industrie herausbildete: eine Glashütte, Ziegeleien, eine Seifenfabrik, eine Dampfmehlfabrik, eine Dampfölfabrik. Warum? Weil der billige Brennstoff Torf vor Ort da war.

Aber das alles war trotzdem ineffizient, sodass die Region sich nicht recht entwickeln konnte. Und wenn ich mich an meine eigene Kindheit erinnere: 1950 waren noch lange nicht alle Dörfer mit Strom versorgt. Es gab nur wenige große befestigte Erschließungsstraßen, während selbst viele innergemeindliche Straßen noch aus Sandwegen bestanden. Die Erschließung zwischen den Bauerschaften leisteten selbstverständlich keineswegs geteerte oder nur gepflasterte Straßen, sondern Sandwege. Ich erinnere mich auch daran, dass meine Klassenkameraden aus dem sogenannten Feld morgens drei bis vier Kilometer zu Fuß, im Sommer sogar barfuß, zur Schule kamen. Das sind das nur einige Anzeichen dafür, wie wirtschaftlich rückständig diese Region war.

Aber zwei Aspekte sind noch zu benennen:

1924 hatte die Provinz Hannover vor, das Emsland unter den damaligen Rahmenbedingungen mit Strom zu versorgen. Deshalb wurde ein Torfkraftwerk in Rühle im Kreis Meppen gebaut. Wenn wir uns die Kapazität vorstellen: 6500 kWh. Die heutigen Großkraftwerke leisten über 600 bis 800 MW! Nichtsdestotrotz waren im Raumordnungsprogramm 1950 der Bezirksregierung Osnabrück am Küstenkanal zwei große Torfkraftwerke zur Stromversorgung des nördlichen Emslands vorgesehen. Die Abwärme sollte den Gewächshäusern in Papenburg zur Verfügung stehe. Doch die Zeit ist darüber hinweggegangen.

So sehr das Moor Fluch war – mit dem Emslandplan des Jahres 1950 hat es am Ende der Region Segen durch die Urbarmachung des „Ödlandes“, der Modernisierung der Infrastruktur oder den Bau von modernen Schulen gebracht, weil unter anderem Vertriebenen neue Existenzen gegeben werden mussten und das Armenhaus der Republik endlich beseitigt werden sollte.

Also: Ein langer Leidensweg, der am Ende der Region eine neue Chance brachte, die sie auch genutzt hat. Sie hat sich nämlich mit den Mitteln des Emslandplans am eigenen Schopf aus dem Sumpf herausgeholt, was manchmal so nicht gesehen wird.

Allein Geld zur Verfügung zu stellen, reicht nicht. Es muss dahinter auch Tatkraft und Wille stehen.