Emsland – was ist das eigentlich?


    Wie eine Region sich findet und erfindet

       Von Theo Mönch-Tegeder +   Medienmanager.Journalist, Autor

Im Laufe der Geschichte bezeichnete man mit Emsland schon so ziemlich
jede Gegend, durch die sich die Ems schlängelte.

Der römische Schriftsteller Tacitus nennt bei seiner Aufzählung der germanischen Stämme auch das Volk der Amsivarier, was nichts anderes bedeutet als Emsländer; er bezeichnet damit diejenigen, die sich das Recht nahmen(varii), an der Ems (amisia) zu leben. Es gibt Belege dafür, dass später der Raum Warendorf/Telgte, aber ebenso auch der Teil Ostfrieslands um Leer und Emden herum mit Emsland bezeichnet wurden.

Und selbst der berühmte Emslandplan, der den Landstrich endgültig aus dem Dornröschen-Schlaf geweckt hat, umfasste nicht allein das Gebiet, das wir heute als Emsland bezeichnen, sondern auch zum Beispiel die Grafschaft Bentheim, den Raum Vechta/Cloppenburg, Teile Ostfrieslands.

So gesehen ist der Begriff „Emsland“ in seiner Bedeutung sehr unfest und unstet.

Erst durch die Bildung des Landkreises Emsland im Jahre 1977 hat er seinen jetzigen Inhalt angenommen.

Nicht nur, dass sich die Menschen dieses Raumes erst seit sehr kurzer Zeit als Emsländer fühlen dürfen, also ein regionales Selbstbewusstsein entwickeln, auch
politisch und wirtschaftlich war das heutige Emsland – wiederum mit Ausnahme des letzten halben Jahrhunderts – sehr unterschiedlichen Mächten und Einflüssen ausgesetzt.

  • Das Kirchspiel Emsbüren, lag über rund tausend Jahre im Kraftzentrum von Münster.
    Es war Teil des dortigen Fürstbistums, bis es während der napoleonischen Zeit (1803-1813) zunächst in viele Richtungen durchgeschüttelt wurde, um dann im Verlauf des 19. Jahrhunderts nach einem hannoverschen Zwischenspiel (1815-1866) endlich unter preußischer Herrschaft zu landen.
  • Die Grafschaft Lingen dagegen ist sehr stark vom Ringen zwischen niederländischen Einflüssen und tecklenburgischen beziehungsweise Osnabrücker Interessen geprägt.
  • Das nördliche Emsland schließlich gehörte zwar ebenfalls größtenteils zum Fürstbistum Münster, aber man könnte es ebenso gut als politische Niemandsland ansehen; das Interesse daran war selten besonders ausgeprägt, denn hier gab es wenig zu holen – weder an Steuern und Abgaben noch an Nachwuchs für die Heere und Beamtenapparate.
  • Auch dem Hause Arenberg, das im Zuge der Säkularisation 1803 diesen Teil des aufgelösten Fürstbistums Münster als Entschädigung für westrheinische Gebietsverluste zugesprochen bekam, war die Region eher fremd.

Die Bemühungen, das Land zu fördern, hielten sich in Grenzen.

Die schlechte natürliche Beschaffenheit und die Randlage im Deutschen Reich machten den Raum gleichermaßen politisch und wirtschaftlich uninteressant.

Hier, an der Grenze zu den Niederlanden, musste man nicht einmal aus militärisch-strategischen Gründen investieren, denn die Moore sicherten die
Hoheitsgebiete besser, als jede Armee es vermocht hätte. Daher stand hier wenig Militär, es gab keine Aufmarsch-Gebiete, es musste keine große militärische Logistik bereitgehalten werden. Also gab es keine Straßen, keine Garnisonsstädte, keine Infrastruktur.

Und nur wenige Gemeinden besaßen ein nennenswertes landwirtschaftliches Potenzial; zu den wenigen Ausnahmen zählt zum Beispiel der Raum Emsbüren/
Salzbergen.

Ansonsten: Ausgedehnte Moorgebiete auf der westlichen Seite der Ems, ebenso ausgedehnte Heideflächen ostwärts, insbesondere auf dem Hümmling, und entlang der Ems wiederum ausgedehnte Überschwemmungsflächen.
Dennoch gab es immer wieder Versuche, den Raum intensiver zu nutzen und zu besiedeln. Etliche Kolonie-Dörfer zeugen noch heute davon.

Papenburg, gegründet 1631, ist das älteste und erfolgreichste Muster einer solchen Erschließungspolitik.

Andere Großprojekte scheiterten, etwa der Plan des Kurfürsten Clemens-August, einen schiffbaren Kanal von Münster nach Sögel-Clemenswerth graben zu
lassen.

Erst im 19. Jahrhundert nahmen die Bemühungen, den emsländischen Raum wirtschaftlich zu entwickeln, einen ernst zu nehmenden Charakter
an, z. B. durch die Schiffbarmachung der Ems (Regulierung des Flussbettes und Einbau von Schleusen), dann den Bau der Eisenbahn und den Bau des
Dortmund-Ems-Kanals.

Den Verkehrswegen folgten intensivere Handelsverbindungen, beispielsweise
ins Ruhrgebiet.

Nicht zuletzt aus strukturpolitischen Gründen wurde in Lingen eine Dampflokfabrik (Eisenbahnausbesserungswerk) aus dem Boden gestampft – der erste große industrielle Arbeitgeber des Emslandes.

Weitere Industriebetriebe, allerdings eher kleinerer Art, entstanden seit den 1850er Jahren.

Dennoch: Das Emsland blieb rückständig

– trotz vielfältiger Bemühungen der örtlichen Repräsentanten im Reichstag bzw. im preußischen Landtag.
Die brach liegenden Moor- und Heideflächen, die ein enormes landwirtschaftliches  und damit siedlungspolitisches Potenzial in sich bargen – zumal seit der systematischen Nutzung des künstlichen Düngers – ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts.

Aber die technischen Mittel für die Urbarmachung standen noch nicht bereit.

Immer wieder versuchte man es mit bloßer Menschenkraft,

bis in die verhängnisvolle Hitlerzeit hinein, als die Kolonisierung des Emslandes zunächst als heilige nationale Aufgabe des Reichs beschworen wurde und bald danach schlecht genug war für die Auspressung- und Vernichtung so vieler Straf-, Kriegs- und sonstiger Gefangener den Erschöpfungstod der Betroffenen eiskalt einplanend.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges schlug dann endlich die Stunde des Emslandes, und sie verdankt sich dem Zuwanderungsdruck der Vertriebenen aus
den kommunistischen Gebieten (ehemalige DDR,,Polen, z. T. Sowjetunion). Der war so groß, die Nahrungsmittelversorgung so knapp, dass schnellstens
neue landwirtschaftliche Flächen und Siedlungsgebiete erschlossen werden mussten.

Zweiter Faktor: Die Mechanisierung war so weit fortgeschritten, dass nun auch entsprechend leistungsstarke Maschinen zur Verfügung standen (Dampfmaschinen, Tiefpflug).

Dritter Faktor: Erstmals bündelten alle politischen Ebenen – Bund, Land, Kommunen – für diese Großaufgabe ihre politischen und finanziellen
Kräfte. Und schließlich: Mit Johann Dietrich Lauenstein wurde ein hoher Beamter ins Emsland gesandt, der sich der Aufgabe auch gewachsen zeigte.

Dieser Text stammt aus (Seite 20/21):

Das Emsland gilt als ein Musterbeispiel für erfolgreiche Regionalpolitik.

Dennoch war die Aufgabe mühseliger, als sie sich in der rückblickenden Betrachtung darstellt. Zehn Jahre waren ursprünglich für die Aufgabe eingeplant – am Ende dauerte es mehr als 40 Jahre, bis die selbst tragenden Kräfte der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung hinreichend ausgebildet waren.

Nun aber zählt das Emsland zu den Boom-Regionen Niedersachsens, es ist eine sichere Stütze für die Volkswirtschaft auf Landes- wie auf Bundesebene.

Selbstverständlich war und ist das alles nicht. Erfolg muss immer wieder neu erstritten, erkämpft werden…